5 von 5 Sterne von Frau F. aus Konstanz
Den aktiven Teil der Reise beginnen wir ungewollt passiv am Flughafen Havanna – mit einstündigem nervösen Warten auf unser Gepäck und einem kontinuierlich steigenden Adrenalinspiegel. Zum Glück grundlos, das Gepäck kommt vollständig an.
Reiseleiter Lemaj – den wir im Laufe der Reise „Commandante“ nennen während er uns freundlich-bestimmt mit „Gruppe“ anspricht - und Busfahrer Toni erwarten unsere bunt gemischte, aber sehr harmonische Gruppe, und wir machen Bekanntschaft mit unserem kleinen Tourbus, der – wie so vieles in Kuba – chinesischen Ursprungs ist. Während der halbstündigen Fahrt zum Hotel Plaza in Havanna staunen wir über Dinge, die in den nächsten beiden Wochen selbstverständlich werden: Oldtimer, die nach unserem Verständnis gar nicht mehr fahren können. Plakate mit dem Portraits Castros und unzählige Schriftzüge zur erfolgreichen „Revolución“ statt der uns bekannten Produktwerbung. Dunkle und leere Straßen in einer dicht bevölkerten Hauptstadt.
Wir wundern uns über das Frühstück im Hotel, bei dem einiges nicht nach dem schmeckt, wonach es aussieht. Bei dem manches irgendwie anders bis gar nicht so organisiert ist, wie man es aus Europa kennt. Bei dem wir langsam anfangen zu begreifen, was unser Reiseleiter uns am Vorabend zur leichteren Eingewöhnung als Tipps mit auf den Weg gegeben hat:
„1. Vergesst Europa! 2. Kuba ist verrückt!“
Der Stadtrundgang durch das als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnete La Habana (Havanna) ist beeindruckend und verwirrend zugleich: Baufälliges und Einsturzgefährdetes trifft auf Restauriertes. Hinter prachtvollen Straßen mit liebevoll bemalten Fassaden verbergen sich kleine Gassen mit ärmlichsten Wohnverhältnissen. Faszinierender morbider Charme einer ehemals kolonialen Pracht, der wahrscheinlich weltweit unerreicht ist.
Für die tauschbare Währung CUC gibt es Vieles teuer zu kaufen; für den nicht-tauschbaren Peso und gegen Bezugsscheine ist in fast leeren Geschäften nur das Notwendigste erhältlich. Duschgel einer weltbekannten Marke kostet ein Drittel des durchschnittlichen kubanischen Monatslohns. In leeren Apotheken warten Kubaner auf kostenlose, vom Arzt verschriebene Medikamente, was unser Reiseleiter sarkastisch kommentiert mit, „… bis das Medikament kommt, kannst Du schon wieder gesund oder tot sein“. In Bäckereien gibt es das immer gleiche Brot aus Weißmehl in jeder denkbaren Form. In drei verschiedenen Poststellen werden uns drei verschieden teure Briefmarken für die Urlaubspostkarten verkauft.
Beim ersten Mittagessen frieren wir zum Unverständnis der Restaurant-Bediensteten bei einer Außentemperatur von gefühlten schwülen 30 Grad und protestieren erfolgreich gegen die auf Hochtouren laufende Klimaanlage. Im Lauf der Busfahrten wird auch unser Busfahrer Toni des Öfteren verzweifeln, wenn wir ihn immer wieder bitten, die Klimaanlage zu drosseln, weil es „mucho frio“ sei. Kühle als Luxusgut im Rahmen der "Energie-Revolución"?
Richtig heiß wird uns am Nachmittag beim Salsa-Kurs: Eine Gruppe Jugendlicher versucht ihr Bestes, unsere europäisch-steifen Hüften in Salsa-Schwung zu bringen – die Aufforderung „relax!“ wird zum Dauerwitz während der nächsten zwei Wochen, kommen wir uns doch eigentlich schon sooooo relaxt vor... Aber wir geben unser Bestes, wackeln zur Bespaßung unserer jungen Lehrer mutig mit, und einige trauen sich auch im weiteren Verlauf der Reise, ihre Tanzkenntnisse auf ein vorzeigbares Niveau zu heben und das verordnete Relaxen angestrengt zu üben.
Ein Tipp für einen schönen Tagesausklang ist die Dachterrasse des Hotels Inglaterra: Bei Live-Musik und überfordert von der Cocktail-Auswahl lassen wir den Tag mit einem traumhaften Blick auf Havanna bei Nacht ausklingen.
Mit etwas Abstand bleiben vor allem folgende Eindrücke in Erinnerung:
Auf kubanischen Autobahnen laufen Menschen und fahren Ochsen- und Pferdegespanne gleichberechtigt neben Fahrrädern und Autos. Bei notwendigen Biopausen hält der Bus unkompliziert auf der rechten Spur und wir erklären das angrenzende Feld zur Damen- und Herren-Toilette; bei Bedarf wird auch mal direkt auf der Autobahn gewendet.
Wir lernen schnell, dass nahezu alles staatlich ist, mit dem man Geld verdienen kann - die Hotels, das zum kubanischen Militär gehörende Reiseunternehmen Gaviota; selbst an den Getränken macht der Staat nicht Halt: Wir probieren uns durch die langen Cocktail-Karten mit günstigen, vom Staat fixierten Einheitspreisen und finden Gefallen an Rum pur zur „Desinfección“ des Magen-Darm-Traktes.
Unser Germanistik-studierter Reiseleiter spricht fließend Deutsch und beantwortet bereitwillig jede unserer Fragen – zu Che, den Castro-Brüdern bis hin zu Kirche und Familienplanung.
Schön gelegene Hotels (ohne Garantie auf zu jeder Zeit ausreichend fließendes oder gar warmes Wasser) wechseln sich ab mit einfachen Matratzenlagern unter freiem Sternenhimmel – und mehr als einmal möchten wir den um 4 Uhr krähenden Hähnen den Hals umdrehen.
Fahrradfahren „auf größtenteils asphaltierten Straßen“ bedeutet Schlagloch-Slalom auf maximal zu 80 % mit Teer bedeckten Straßen und manch einer findet innovative Wege, seinen Sattel zu polstern.
Wir klettern mit Helm und Stirnlampe bewaffnet durch beeindruckende Höhlensysteme.
Über unsere nicht vorhandenen Reitkenntnisse staunt die sattelfeste einheimische Bevölkerung wahrscheinlich genauso wie unsere vierbeinigen Gastgeber Bollo, Diego und Co.
Wir besuchen den sehr freundlichen Tabak-Bauern Pedro, der uns in sein Haus einlädt, vor unseren Augen eine Zigarre rollt, ansteckt und sichtlich Spaß an unserem Besuch hat.
Wir staunen über den schier unerschöpflichen Einfallsreichtum der Kubaner, an CUC zu kommen. Und nach einigen Tagen wundern wir uns daher auch nicht mehr über die Musikanten, die immer dann aus dem Nichts aufzutauchen scheinen, wenn mehr als fünf Touristen zusammensitzen.
Während der Trecking-Tage fahren wir mit abenteuerlichen, russischen LkW durch den Regenwald und lauschen andächtig, während der lokale Guide mit dem bezeichnenden Namen Rambo uns Flora und Fauna erläutert, bevor wir zur Erfrischung in einen Naturbadesee springen.
Erholung finden wir im „Hotel Breezes“ in Jibacoa. Die Buffet-auswahl kommt uns dekadent vor: Wo ist das Nationalgericht „Mauren & Christen“ (Reis und schwarze Bohnen), das uns bis dahin täglich begleitet hat? Wo das kubanische Hühnchen, das in seiner Zubereitungsart aussieht, als wurde es vom LkW überrollt? Haben die Kanadier, die in dieser All-inclusive-Anlage Mallorca-günstig urlauben, jemals das „wahre“ Kuba gesehen? Ist es wirklich notwendig, Cocktails aus Ein-Liter-Bechern zu trinken? Was müssen die einheimischen Angestellten empfinden, wenn sie den Überfluss am Buffet sehen und an die Not außerhalb des umzäunten Geländes denken? Fremdschämen und beschämte Zweifel treffen am Sandstrand auf Karibik-Feeling und das am ersten Tag verordnete „Relax!“.
Das Fazit nach zwei Wochen:
Wenn die spanische Fluggesellschaft IBERIA uns beim Hinflug mit schlechtem Essen, oberflächlicher Sauberkeit und unfreundlichem Personal auf Kuba einstimmen wollte dann lag sie falsch: Kubaner essen einfach, aber durchaus schmackhaft. Kubaner schaffen es, aus Wenig das Beste zu machen. Und: Kubaner tun für den Touristen fast alles.
So können wir dann am Ende der Reise ohne Hintergedanken schmunzeln, als sich im Hotel Plaza die neu auf Kuba angekommenen Gäste über die unverständliche Organisation des Frühstücks ärgern. Wir dagegen sind glücklich über die genutzte Gelegenheit, einen Teil des „wahren“ Kubas kennengelernt zu haben - sofern man als Europäer in dieser kurzen Zeit Zugang bekommt und das Gesehene begreifen kann. Wir haben gestaunt und waren beeindruckt – von den Lebensumständen, vom Improvisationstalent der Bevölkerung und vom politischen System, das uns so fremd geblieben ist.
Ein Reise „Kuba kulinarisch“ wird es wahrscheinlich nie geben. Aber: Kuba macht Spaß. Kuba ist interessant und eine Reise wert. Und vor allem (Commandante Lemaj, Du hattest Recht!): Kuba ist anders als Europa - und mit Sicherheit ein wenig verrückt!