Tourerlebnis Sidecar Cuba
Willy Neumann
Ein leises Klacken und die Getriebezahnräder stehen auf Rückwärts. Lange habe ich auf diesen Moment gehofft und endlich ist es soweit – ich rangiere die Ural mit Beiwagen aus der schmalen Lücke vor dem Edificio Bacardi in Havanna-Vieja. Vor mir liegen 5 Tage Cuba mit dem Motorrad. Rund 600 km Entdeckungstour in den Westen der Insel.
1989 war ich das erste Mal hier um Cuba´s Osten zu bereisen, damals mit Bus & Bahn, hin und wieder per Autostopp und sogar mit einem Mietwagen – ein Volkswagen Santana, ziemlich ramponiert und klapprig. Meine Ural im Jahr 2019 hingegen ist ein Schmuckstück mit 21 km auf dem Tacho, praktisch neu. Eines der zuletzt ausgelieferten Vergasermodelle und optisch exakt baugleich mit den so vielen Tausenden Ural Motorradgespannen die über die Zuckerinsel Cuba bollern – in diesem neuwertigen Zustand und der Zuverlässigkeit ein wirkliches Unikat.
Nirgendwo in ganz Lateinamerika haben sich die robusten Boxermaschinen aus sowjetischer Produktion so konsequent bis in die Gegenwart im Strassenbild verankert, wie auf Cuba.
Und es ist eine wahre Freude, jetzt mit einem, für diese Tropeninsel typischen Motorradgespann für die nächsten Tage aufzubrechen, um die kubanische Gastfreundschaft zu entdecken.
Der Reiseveranstalter avenTOURa aus Freiburg im Breisgau hat das Angebot im Programm. Beim Abschied vor dem Reisebüro in Havanna klopft mir Jorge, mein kubanischer Tourguide auf die Schulter und meint augenzwinkernd, er denke, dass mir meine Erfahrung mit Ural Beiwagenmaschinen während einiger Tausend Kilometer durch Polen und die Ukraine sicherlich helfen wird, die zum Teil holprigen Passagen auf den den kubanischen Strassen zu meistern. Es wird sich herausstellen, dass alles halb so schlimm ist, wenn man wie ich, im Geniesser-Modus die stillen Winkel und Küstenabschnitte der Insel erkunden möchte und bereits einmal ein Beiwagenmotorrad gesteuert hat.
Ab nach las Terrazas
Ein erstes Highlight auf dem Weg nach Las Terrazas, dem Ziel der ersten Etappe, ist das kleine verschlafene Dorf Cabañas. Versteckt im hügeligen Hinterland der Atlantikküste Cubas, findet sich auf dem Marktplatz ein Café mit Bar und Imbiss. Das lebendige Treiben im Schatten der Bäume, Kinder feixend in Ihren Schuluniformen und vereinzelte Pferdefuhrwerke mit Gemüse aus dem eigenen Garten auf den Strassen prägen den September ist es zugegeben sogar zum Motorradfahren ein wenig zu heiss und eine Rast im Schatten schärft die Sinne. Gleich darauf habe ich die Strassen wieder fast für mich allein und der Boxermotor schnurrt vor sich hin – im gemächlichen Flug über die Landstrassen und den hügelig ansteigenden Passagen, vorbei an satt grünen Weiden mit Königspalmen, dem Wahrzeichen der sozialistischen Karibikinsel.
Meine Tagesetappen sollen sich bei ca. 150 km einpendeln und es stellt sich heraus, dass diese Rechnung voll aufgeht. Die Strassen sin beinahe menschenleer und vereinzelte Schulbusse kreuzen meinen Weg. Die steile Passage hinauf zum Castillo en las Nuñes schliesslich ist schon vielversprechend, der Ausblick von höchsten Punkt dann atemberaubend.
Selbst die Karibikküste im Süden der Insel ist von hier oben auszumachen und als absolutes Highlight lädt der Swimmingpool hinter der Snack Bar dazu ein, sehr viel länger als geplant zu bleiben.
Das Hotel Moka, mein erster Zwischenstop in Las Terrazas ist nur noch einige Kilometer entfernt und ein perfekter Abschluss des ersten Tages auf dem Weg in den wilden (Tabak)- Westen Cubas. Das Hotel liegt auf einem sanften Hügel und ist in das dörfliche Ambiente des Ortes wunderbar integriert. Wer noch zusätzlichen Nervenkitzel sucht, für den gibt es auch eine ausgedehnte Canopy-Seilfähre über den See hinweg. Mir jedoch reicht die Erinnerung an diesen Tag mit reinster Fahrfreude.
Tabakregion Viñales
Der nächste Tag verspricht wieder spannend zu werden – das Städtchen Viñales ist als Ziel auserkoren und die Ural steht auf dem Parkplatz bereit – unter den wachenden und leuchtenden Augen des Hausmeisters. Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie sehr ein Motorrad die Kommunikation unter Menschen beflügelt und eine freundliche Atmosphäre schaffen kann. Männer verfallen spontan in Anekdoten über Ihre erste Tour und manche Frauen klatschen lächelnd und zustimmend die Hände zusammen und wünschen „buen viaje“. Während ich den Helm aufsetze, erzählt Yücel begeistert, wie er letztes Jahr mit seiner 125ccm Suzuki von Havanna bis nach Baracoa zu seinen Kindern gefahren ist – gut und gerne 1000 km, immer die kleinen Routen und versteckten Straßen im Visier. Eine unvergessliche Tour – Motorcycle Drivers Dream!
Die Ural startet mit dem ersten Impuls des E-Starters und läuft sofort ohne Choke rund, die 25C Grad am Morgen sind dabei sicher hilfreich…
Ich nehme auf den ersten Metern die Carretera Richtung Pinar del Rio und die Route ist um einiges abwechslungsreicher als eine Autobahnfahrt im heimischen Europa. Unter den Brückendurchfahrten stehen immer viele Cubaner, auf eine Mitfahrgelegenheit wartend – es gilt vorsichtig zu sein, denn der wenige Verkehr verleitet zur Unachtsamkeit.
Wenige Kilometer weiter überhole ich gemächlich zwei Ausflügler auf einem Ural Gespann! Wir winken uns herzlich zu, auf beiden Seiten ist der Stolz sichtbar, in diesem Augenblick eine sehr individuelle Art der Fortbewegung geniessen zu können. Eine halbe Stunde später nehme ich dann die Ausfahrt Richtung Las Ovas, an der ersten Tabaccho Finca vorbei, und lege eine Pause am Aussichtsbalkon des Hotel Los Jazmines ein.
Das Viñales Tal liegt mir zu Füssen und der Blick über die tropisch-grün schimmernde weiche Felsenlandschaft verleitet sofort dazu, einzutauchen in diese satte Vegetation. Die Unmittelbarkeit des Naturerlebnisses in solch einer Landschaft, egal ob auf zwei oder in meinem Fall auf drei Rädern, ist wirklich grossartig. Jeder Rad- oder Motorradfahrer wird es bestätigen und meine Begeisterung im Schwingsattel der Ural steigert sich mit jedem gefahrenen Meter. Es locken diverse Zwischenstopps, die ich hier und jetzt, alle gar nicht wahrnehmen kann. Der kleine Pfad hinein ins Viñales-Tal ist eigentlich für Reitausflüge gedacht aber auch breit genug für meine Ural samt Beiwagen.
Dann der Abzweig zu den berühmten „Murales“. Eine willkommene Abwechslung. Fidel Castro persönlich hat in den sechziger Jahren veranlasst, dass kubanische Künstler hier an den steilen Felswänden ihre Interpretation der in der Nähe entdeckten, tausende Jahre alten Höhlenmalereien verwirklichen und sich damit ebenso verewigen wie Ihre Vorfahren.
Am Ortsrand von Viñales schliesslich folge ich dem Wegweiser zur Tabak Finca und lerne während des Verkostens des hauseigenen Rum´s, mit welcher Kunstfertigkeit hier die edelsten Zigarren der Welt in Handarbeit hergestellt werden.
Wenige Stunden später habe ich die Ural im Garten meiner Casa Particular abgestellt und sitze in einem kleinen Restaurant gleich neben der Kirche am Dorfplatz von Viñales. Elena, meine Gastgeberin hat es empfohlen und mir das Versprechen abgerungen, die abendliche Salsa Show nur ja nicht zu verpassen. Auf mich wartet endlich ein kühles Crystal Bier und ein unvergesslich rythmischer Salsa Abend unter freiem Himmel. Und nach dem Essen werden es sicher noch ein oder zwei Mojito´s mehr werden…
Die Sonne senkt sich und wie auf Bestellung tuckert ein betagtes Ural Gespann an mir vorbei. Was für ein zweiter Tag! Viva Cuba!
Entspannung in Cayo Jutias
Es ist nur schwer vorstellbar dass hier am Strand von Cayo Jutias in regelmässigen Abständen die Wirbelstürme mit zerstörerischer Wucht all das hinwegfegen, was nur die geringste Fläche für den Wind bietet. Die Anfahrt von Viñales, über entlegene Dörfer und einsame, kleine hügelige Landstrassen in fantastischer Kulisse erfordert Konzentration. Die Strassen sind ausgewaschen und abschnittsweise mit einigen Schlaglöchern versehen – vorsichtiges Fahren ist also angesagt bevor ich hier, am türkisgrünen Atlantikstrand angekommen, mein Ural-Gespann im spärlichen Schatten einer Königspalme parke.
Aus dem Taxi neben mir steigt gleich darauf Gustavo aus, ehemaliger Universitätsprofessor und jetzt Chauffeur im Dienste der „Touristas“. Er strahlt über das ganze Gesicht. Seit 20 Jahren ist er auf der ganzen Insel für Touristen unterwegs, aber ein neues Motorradgespann ist ihm noch nie begegnet. Er spricht mich auf Englisch an, und ich erzähle ihm gern ausführlich meine bisherigen Etappen.
Minas de Matahambre, das letzte Städtchen in den Bergen auf dem Weg hierher, so erklärt er mir , war vor der Revolution so etwas wie ein Bergarbeiterstädtchen. Abgelegen aber lebendig, reich an Erzen, aber die Bevölkerung arm wie die Kirchenmäuse. Nach dem Sieg der Revolution 1959 wurde auch hier im abgelegenen Westen der Insel die Bildung der Bevölkerung grossgeschrieben. Die sogenannten Cine moviles, umgebaute LKW´s mit Filmprojektoren wurden in die Provinzen geschickt um die Alphabetisierungskampagne zu unterstützen.
Schulen wurden in der Folge errichtet und schliesslich wurde ökonomisch mehr auf Landwirtschaft, vor allem auf Zuckerrohranbau gesetzt. Seitdem liegt der Bergbau brach. Wir trinken zusammen ein Glas Rum in der Strand-Bar aus Palmholz. Mein Blick fällt auf die vielen kubanischen Familien, die hier mit ihren Kindern einen Strandtag verbringen. Wenig weitere Gäste, einige Touristen aber alles sehr entspannt. Die Holzkonstruktion wirkt wie eine Handvoll sortierte Mikadostäbe, aufgebaut mit dem Wissen, dass der nächste Hurrikan schicksalhaft vorbestimmt ist. Ein Fingerzeig für die Reiseplanung!
Gustavo muss los, wirft sich in sein Oldtimer Taxi und Ich mich endlich in die Fluten. Inzwischen ist es Nachmittag geworden und mich juckt es wieder in den Fingern, meine Tages-Rundtour weiter voran zu treiben. Der schnurgeraden Strasse auf dem Cayo folge ich im Slalomkurs. Ich versuche mit der Maschine die gröbsten Schlaglöcher zu Umkurven und das Beiwagenrad dabei nicht zu vergessen! Kein Problem, ich habe die ganze Strasse für mich, es ist kein Verkehr. Muss sehr lustig aussehen aus der Vogelperspektive!
Nach wenigen Kilometern bin ich wieder auf der Hauptstrasse und halte Ausschau nach einer Tankstelle. Es gibt drei Sorten Benzin, von 83 Oktan aufwärts, meine Ural schluckt eigentlich alles ausser Diesel. Ich spendiere ihr aber trotzdem Gasolina Especial mit 94 Oktan. Der Boxer hat ja schliesslich bei den tropischen Temperaturen auch einiges zu tun…
Gustavo hat mir noch einen Tip für den Rückweg gegeben – eine ehemalige Kaffeeplantage aus der Kolonialzeit. Ich nehme den Abstecher gerne in Kauf und schlendere nach einer kurzen steilen Auffahrt über die terrassenartig gemauerten früheren Anbauflächen und Ruinen der Finca.
Ein fantastischer Ausblick bietet sich hier über die sattgrünen Hügel ins Hinterland. Kaum vorstellbar, mit wie viel Mühsal und Leid dieser Ort seit Generationen auch verbunden ist. Das kleine Café im Haupthaus bietet Refrescos, Sandwiches und natürlich – Kaffee. Ein perfekter Zeitpunkt dafür und ein angemessen rustikales Ambiente noch dazu.
Mittlerweile begegnet man auf den Strassen neben den klassischen kleinen Motorrädern und Mopeds vereinzelt auch Elektrorollern chinesischer Produktion. Findige Kubaner organisieren den Eigenimport überwiegend aus Panama und versuchen die Roller gewinnbringend zu verkaufen. Leider ist Cuba nicht nur mit kontinuierlichen Stromversorgungsproblemen konfrontiert, auch die Teilversorgung und Reichweite dieser trendigen E-Roller scheint ziemlich begrenzt. Leergelaufene oder defekte Zweiräder am Strassenrand legen davon Zeugnis. ab. Mein Ural Gespann hingegen schnurrt munter vor sich hin und die gelungene Symbiose aus Tradition und Moderne zeigt sich auch bei stärkerem Gefälle, die Brembo Scheibenbremsen neuester Generation verzögern die Fuhre sicher und zuverlässig.
Bei meiner Ankunft Vinales wird mir plötzlich bewusst, dass ich völlig intuitiv und sicher mit dem Gespann um die Kreuzungen kurve und die Eingewöhnungszeit beim Umstieg vom Zweirad- auf den Beiwagenmodus fliessend in routiniertes Motorradfahren überging. Elena, meine Gastgeberin empfängt mich neugierig und sieht mir die erlebten Kilometer der Tagesrundtour auf den ersten Blick an. Ein leichter Sonnenbrand auf Nase und Stirn lässt sich nicht so einfach abstreiten.
Am vierten Tag steht bei mir die Strecke entlang der Nordküste auf dem Programm – mit Ziel Las Terrazas. Ich habe mich für eine weitere Nacht im Hotel Moka entschieden. Reine Sympathie, verbunden mit Vorfreude auf den Pool. Das exzellente Diner im Restaurant gaben schliesslich auch noch den Ausschlag. Bis dorthin liegt das Städtchen Bahia Honda auf dem Weg und ein Abstecher nach Palma Rubia sollte auch drin sein.
Cayo Levisa ist ein der Küste vorgelagerter Archipel, der mit einer kleinen Fähre von Palma Rubia aus zu erreichen ist. Die einsame Strasse dorthin wird hin und wieder von kleinen Weilern zurück ins Leben geholt. Mit Tankstellen sieht es hier nicht so gut aus und ich bin froh, rechtzeitig die Ural versorgt zu haben. Das Café am Fähranleger ist geöffnet und ein Bocadillo de queso gehört unbedingt zur Erfrischung dazu. Der Barista erklärt mir, dass die Fähre nach Cayo Levisa leider nicht fährt.
Es ist Nebensaison und die Nachfrage war schlichtweg zu gering. Der Verwalter auf der Insel habe den Stromgenerator abgestellt und die Fähre ausser Betrieb genommen. Jetzt wär es aber noch viel spannender dort drüben, denke ich mir, so eine ganze Insel für sich allein? Die Ural umbauen und auf Pontons die Küste entlang, wie Anne Knödler mit ihren Reisegefährten von „leavinghomefunktion.com“ es kurzerhand in Sibirien verwirklicht haben?
Schöner Gedanke aber mir bleibt nur der geordnete Rückzug und die weiterhin genussvollen Abschnitte auf der Landstrasse Richtung Las Terrazas.
Am morgigen fünften Tag werde ich dann die Rückreise ganz entspannt via San Antonio de los Baños bis Havanna angehen um noch einige Runden dort zu drehen. Von der Plaza de la Revolution vorbei an der Copellia und am Malecon entlang. Hinauf zum Christo de la Habana an der Hafenfestung und dann hinüber zum ehemaligen Wohnhaus Che Guevaras, so schwebt es mir vor.
Schliesslich gilt es doch, bei diesem grandiosen Ausblick über die Altstadt von Havanna, das 500 jährige Jubiläum der Stadt zu feiern und zu geniessen, so denke ich euphorisch, während das Ufer des Lago del San Juan in Las Terrazas etwas später im Abendlicht vor mir flimmert und unter meinem Schwingsattel der abgestellte Boxermotor der Ural leise vor sich hin knistert.